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Fischwohl

Warum ist das Fischwohl wichtig?

 

Bei Aquaponik-Anlagen werden Fische in Verhältnissen gehalten, die in vielen Punkten der Massentierhaltung entsprechen. Viele Tiere leben auf engem Raum, außerhalb ihres natürlichen Lebensraums und mit verschiedenen Stressfaktoren, die sie belasten.

Seit den 1970er Jahren nahm das Engagement zugunsten des Tierschutzes in der industriellen Landwirtschaft erheblich zu. Jedoch wurde bei diesen Bewegungen das Wohl der Fische lange nicht betrachtet. Das kann darauf zurückzuführen sein, dass wir als Menschen keinen Lebensraum mit Fischen teilen und wenig Interaktion mit ihnen haben, die uns ihre Intelligenz und Leidensfähigkeit nahebringt.

Fische wurden jedoch in den letzten Jahrzehnten immer mehr erforscht und es wurden viele Erkenntnisse über ihre kognitive Fähigkeiten, ihr Schmerzempfinden und ihr Verhalten gewonnen.

Kognitive Fähigkeiten von Fischen

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Mit der Entdeckung der Nozizeptoren bei Forellen im Jahr 2000 wurde die Debatte, ob Fische Schmerzen empfinden, neu aufgerollt. Das Nozizeptionssystem ist bei Menschen für das Erkennen von schädlichen Reizen wie zum Beispiel Hitze verantwortlich und es wird sogar vermutet, dass wir dieses System von frühen Vorfahren der Fische geerbt haben. Es wird davon ausgegangen, dass Fische ein ausgeprägtes Schmerzempfinden haben, das auch auf einer kognitiver Ebene funktioniert. Das heißt zum Beispiel, dass schädliche Reize mit emotionalen Reaktionen verbunden sind.

Es wurden Experimente durchgeführt, um dieses Schmerzempfinden zu beweisen. So wurden Forellen schmerzhafte Substanzen (Essigsäure) in die Lippen injiziert. Nach der Injektion mieden die Fische für mehrere Stunden das Fressen. Die Fische ändern somit das normale Verhaltensmuster, da die Schmerzen Vorrang haben.

Außerdem wurde festgestellt, dass verabreichte Schmerzmittel das Verhalten der Fische wieder normalisierte.

Man sieht also, dass die Reaktionen von Fischen auf schmerzhafte Reize nicht nur reflexiv sind, sondern sich nicht grundlegend von Säugetieren unterscheiden und sogar ausgeprägter ist als zum Beispiel das von Vögeln. [1]

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Fische sind jedoch nicht nur in der Lage negative Emotionen zu verspüren. Positive Verhaltensmuster deuten oft auf ein erhöhtes Wohlbefinden hin. So lassen sich bei Fischen Spielverhalten, Neugierde gegenüber unbekannten Objekten und ein verstärktes Sozialverhalten beobachten. Bei glücklichen Fischen äußert sich das zum Beispiel durch spontanes Sprung- und Purzelverhalten sowie die freiwillige Interaktion mit, sich im Becken befindenden, Objekten und Strukturen. [3]

In anderen Worten, Fische werden durch schlechte Haltung nicht nur „unglücklich“, ihnen kann in einer Aquakultur auch ein gutes Leben ermöglicht werden.

Lösungsansätze für die ARC Anlage

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Welche Lösungsansätze kann man nun verfolgen, um die Haltung in Aquakulturen und speziell in der Aquaponik-Anlage im Wedding so artgerecht und ethisch wie möglich zu gestalten?

Zuerst ist die Wahl der Fischart wichtig. Aquakulturen, vor allem in der Aquaponik entsprechen selten dem natürlichen Lebensraum der Fische. Die Tanks sind oft klein, dunkel und von vielen Störungen wie zum Beispiel Geräusch- oder Schwingungsquellen geplagt. Bei der Wahl der Fische ist es dementsprechend wichtig, dass viele der Parameter so weit wie möglich mit der natürlichen Lebensweise übereinstimmen. Es wäre falsch, Fische zu kultivieren, die nicht als Schwarmtiere leben. Die erzwungene Nähe zu ihren Artgenossen wäre ein großer Stressfaktor, der zu Revierkämpfen und Aggressionen in den Tanks führen würde. Tilapia Fische eignen sich demnach, da sie auch in der Natur ein ausgeprägtes Schwarmverhalten aufweisen.

Um die Kultivierbarkeit verschiedener Arten zu vergleichen, wurde hierfür ein „FishEtho Score“ entwickelt. Tilapia schneiden hierbei recht gut ab, mit einer Punktzahl von 5 von 10 Punkten.

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Außerdem sollten die Wasserparameter in den Tanks so nah wie möglich an die natürlichen Umgebungen der Fische angepasst werden. Die bei uns benutzten Tilapia bevorzugen zum Beispiel warmes Wasser, weshalb sie sich im Juli, als die Temperaturen auf über 35 °C gestiegen sind, sehr wohl gefühlt haben. Da die Anlage sich draußen befindet, muss man für den Winter eine Lösung finden. Es würde sich eine bessere Isolierung nach außen hin, mit einer konstanten Wärmezufuhr anbieten. Eine andere Möglichkeit ist die Überwinterung in einem anderen Tank, der sich drin befindet, so dass man keine großen Temperatur Schwankungen hat.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Bereitstellung von Strukturen und Spielplätzen, die den Fischen eine bessere Umwelt in den Tanks bietet. Ein komplett leerer Tank ist für die Fische genauso langweilig, wie es für uns ein komplett leeres Wohnzimmer wäre. Dies ist wichtig, um den Fischen eine Möglichkeit der kognitiven und körperlichen Stimulation zu bieten und dadurch die geistige und körperliche zu fördern. Außerdem erlauben diese Strukturen den rangniederen Fischen die Möglichkeit sich zurückzuziehen oder sich zu verstecken, wodurch sie vor allem Jungtieren eine stressfreie Umgebung schaffen. In den Tanks im Wedding bestände z.B. auch eine Möglichkeit Dachschindeln, umgedrehte Blumentöpfe oder andere hohle Objekte von der Decke des Tanks zu hängen, um ein paar billige und leicht verfügbare Optionen zu nennen. Dabei ist die Position wichtig, da der Boden so frei wie möglich sein muss, um die Strömungen nicht zu beeinflussen und die Pumpensysteme nicht zu stören. Außerdem müssen die Materialen so gewählt werden, dass sich die Tiere nicht daran verletzen können und die Wasserqualität konstant bleibt.

Außerdem sollte man probieren die Anzahl der Störfaktoren so gering wie möglich zu halten. Laute Geräusche sind für Fische eine Quelle von körperlichem Stress. Vibrationen im Tank stören die Fische ebenso sehr. Die Anlage im Wedding steht mitten im Grünen, etwas von der Straße entfernt, weshalb Verkehrslärm und Umgebungsgeräusche kein großes Problem darstellen. Die Pumpenanlagen sollten außerdem so leise wie möglich sein, und möglichst keine großen Vibrationen oder Schwingungen erzeugen. Hier wäre es eine Überlegung wert in leisere Pumpen zu investieren oder die Pumpen räumlich weiter von den Tanks zu entfernen, damit keine Vibrationen übertragen werden.

Quellen:

[1] Sneddon L U, Braithwaite V A, and Gentle M J, 2003. Do Fishes Have Nociceptors? Evidence for the Evolution of a Vertebrate Sensory System. Proceedings of the Royal Society of London. Series B: Biological Sciences, vol. 270, pp. 1115–21.

[2] Pain and Emotion in Fishes – Fish Welfare Implications for Fisheries and Aquaculture“ (2019) in: Animal Studies Journal, Vol. 8, Nr. 2, https://ro.uow.edu.au/asj/vol8/iss2/12/ Übersetzung von Billo Heinzpeter Studer (unter Weglassung der Abschnitte über die Fischerei).

[3] Burghardt G M, 2005. The origins of vertebrate play: Fish that leap, juggle, and tease. In The Genesis of Animal Play: Testing the Limits (p. 501). Cambridge, MA: MIT Press

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